33 Jahre Zuhause.
Zum ersten Mal habe ich das Haus, das ich heute unser Haus nenne, im Frühsommer 1992 betreten. Draußen war es sehr warm, die Luft im Hausflur unerwartet weich und kühl. Von der Decke guckten wohlwollend die beiden Engel. Ich war schwanger, meine bisherige Wohnung baupolizeilich gesperrt, weil die darunterliegende Wohnung bis auf den Putz ausgebrannt war.
Der Bauch und ich wanderten also in den vierten Stock, eine dieser riesigen Flügelltüren würde sich für mich öffnen.
Und dann stand ich in der Wohnung und wusste, hier will ich wohnen. Die Wohnung ist nicht einfach geschnitten, 13 Meter Flur, wenn unten der Paketbote klingelt, haste keine Chance. Rundbögen, Flügeltüren, Fenster, DDR-Gasheizung, kaum eine Wand, an die man was stellen kann. Aber so hell, so frei.
Ja, dann machen wir Ihnen die Elektrik neu, aber Ihre Fenster sind Schrott. 1992 gehörte das Haus noch der WBF, der kommunalen Wohnungsverwaltung Friedrichshain. Ratsch, war jede einzelne Wand einmal aufgestemmt, nichts war mehr mit einfach Überstreichen. Die Fenster blieben Schrott und unangetastet.
Im Frühjahr 1993 sind das Baby und ich dann tatsächlich eingezogen. Ich bin als Kind oft umgezogen, bis zum Abitur habe ich 6 Mal die Schule, 5 Mal die Stadt und 10 Mal die Wohnung gewechselt. Seit ich 13 bin, wohne ich im Kiez: Simon-Dach-Str., Dirschauer Str.,Thaerstr., Ebelingstr. und jetzt die Kopernikusstr. Meine Kinder, inzwischen sind es drei, durften jeden Tag in das gleiche Haus nach Hause kommen.
Als ich eingezogen bin, wohnte mir gegenüber eine sehr alte Frau, Frau Strupp, sie hatte - ein Telefon! Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wollte ich telefonieren oder musste gar mich jemand anrufen, musste man sich mit Frau Strupp arrangieren.
Mit den Leuten im Haus war es schon immer einfach, man redete miteinander, bat sich herein; als sich mein Kind die Hand gebrochen hatte, hab ich auf dem Weg nach unten bei allen geklingelt, wer Eiswürfel hat. Die 1-Zimmer-Wohnung mit Ofenheizung und Außenklo eine halbe Treppe höher teilte sich eine 3-Mädels-WG. Von einer anderen Nachbarin bekam ich meine Katze.
Unter dem Eckbalkon, wo heute der Eingang zum Dönerladen ist, parkte das Motorrad meines Freundes und ein anderer Freund, der nachts Taxi fuhr, kam auf einen Kaffee auf dem Balkon (damals hatte ich noch einen) rauf, wenn bei mir noch Licht war. Als aus dem Schuhmachergeschäft an der Ecke Pizzahut wurde, wurde mir binnen einer halben Stunde mein am Treppengeländer angeschlossenes neues Fahrrad samt Kindersitz geklaut, wir mussten nur mal kurz hoch.
Ich habe drei Kinder und zwei Fahrräder in den vierten Stock geschleppt, Kohlen und unzählige Einkäufe. Als es sehr eng war, haben wir zu fünft in unseren zwei Zimmern und der Mädchenkammer gewohnt.
Zweimal schon hatte man uns zugesagt, dass wir unsere Wohnung mit der Nachbar-1-Zimmerwohnung (Außentoilette, Ofenheizung, Badewanne zum Ausziehen im Spülschrank (fancy!) daneben zusammenlegen dürfen, es gab sogar ein Gutachten für eine sinnvolle Heizung und immer wurde die Zusage in letzter Sekunde zurückgezogen. Dabei ist die Wand zwischen meiner und der Nachbarwohnung gerade mal einen Stein dick. Man sieht die Enden der Schrauben, mit denen meine Aufputzsteckdosen an der Wand befestigt wurden
Im Winter haben wir in der nicht beheizbaren Mädchenkammer 7-9 Grad, in den Zimmern um die 16 Grad, die 13 Meter Flur sind nicht beheizbar, das Dach über uns ist nicht isoliert, das Bad muss ein Strahler heizen, wie man ihn auch über Wickeltischen installiert.
Irgendwann hatten wir bunt blühenden Schimmel und angeblich nicht richtig geheizt. Damals haben wir das Bezirksamt und die Bauaufsicht eingeschaltet und ein Isolierglasfenster in der Küche und einen zweiten Gas-Außenwandheizer für das Eckzimmer bekommen. (Die heißen so, weil sie in erster Linie die Außenwand heizen und dürfen nicht kaputtgehen, weil es keine Ersatzteile mehr gibt.)
Durch den Verkehr auf der Warschauer und die undichten Fenster ist es auch in den Wohnungen immer staubig und ununterbrochen laut. Lieferverkehr, Straßenbahnen mit Kurvenlage und ohne, Polizei, Feuerwehr, Partyvolk, Junkies, Betrunkene. Ruhige Nächte sind woanders.
Ich und das Haus
Mit 33 Jahren wohne ich am längsten von allen in unserem Haus. Was über alle Jahre gleich geblieben ist: wir helfen uns, wir hören einander zu, wir trösten uns. Wir wissen, wann jemand im 1. Stock Geburtstag hat, weil die Nachbarn Wimpel und Grüße rausstellen. Wenn jemand etwas nicht mehr braucht, stellt er es vor die Briefkästen, meist ist es binnen Stunden verschwunden. Durch den Verkauf des Hauses lernen wir jetzt auch die Mieter der anderen Seite des Eckhauses kennen und wieder passiert dasselbe: wir helfen uns, wir reden miteinander, nicht nur aus der Not heraus. Das unsanierte Haus hat eine bunte Berliner Mischung angezogen, fast jeder von uns möchte bleiben.
Und warum sollen sich 27 Mietparteien auf dem ultraheißen Berliner Wohnungsmarkt neue Bleiben suchen? Wir haben jeder eine. Wir haben uns mit allen Zuständen dieses Hauses arrangiert. Wir haben mit jeder einzelnen Hausverwaltung versucht, Schaden abzuwenden und Lösungen zu finden. Niemals hat nach der WBF nochmal ein Eigentümer oder eine Hausverwaltung Geld in die Hand genommen, um die Bausubstanz zu erhalten. Seit einigen Jahren werden bewohnbare Wohnungen nicht wieder vermietet, obwohl es Interessenten gab, die selbst Außentoiletten und Öfen in Kauf nehmen würden. Von einigen Wohnungen heißt es, die Dielen wären nach dem Auszug der Mieter herausgerissen worden und jemand wäre absichtlich in die Schüttung getreten.
Seit Jahren melde ich, melden wir, Schäden, die vom Dienstleister aufgenommen werden und, weil die zu erwartenden Kosten über dem vereinbarten Grenzwert liegen, an die Hausverwaltung weitergeleitet werden. Dort ist niemals jemand zu erreichen, auf eMails wird nicht geantwortet, Ansprechpartner sind nicht erreichbar.
Dass wir ausziehen müssen, weil sämtliche privaten Hausverwaltungen jahrzehntelang nur kassiert haben, ohne ihrer Aufgabe nachzukommen, das Haus bewohnbar zu halten, ist nicht hinzunehmen und lässt vermuten, dass mitten im Milieuschutzgebiet mit einer gewachsenen, wirklich schützenswerten Mietergemeinschaft, durch gezielte Vernachlässigung ein Spekulationsobjekt herangezogen wird.